Senf selber herstellen

Während gefühlt alle Einwohner dieses Landes den Fernsehköchen am Löffel hängen und respektive die Internetportale vollsabbern, werden die wirklich wichtigen Rezepte einfach unter den Teppich gekehrt und professionell ignoriert. Was nutzen uns denn Tellertattoos und hingerichtete Kleinstrübchen an Kräuterschaum, wenn keiner mehr über das Wissen verfügt, einen vernünftigen Senf auf den Teller zu bekommen?

Womit wir beim Thema für Jungs wären: Senf! Und da wir jetzt unter uns sind, kann ich Euch auch duzen. Das Thema ist außerordentlich spannend und da im Netz und in der Literatur kaum Wissenswertes oder Verwertbares publiziert wird, musste halt die eigene Testreihe aufgemacht werden - mit einigen Überraschungen.

 

Botanik für Anfänger

Im Grunde gibt es 3 relevante Senfsorten:

  • Brassica alba – weißer bzw. gelber Senf
  • Brassica juncea – brauner Senf
  • Brassica nigra – schwarzer Senf

Wie der Nicht-Lateiner unschwer erkennt, handelt es sich um "Brassica". Es wird aber auch häufig der Begriff "Sinapsis" verwendet, was aber keine botanische Bezeichnung ist. Was man sich merken sollte: Je dunkler die Sorte, desto schärfer. Und das kann richtig scharf werden, wie wir im folgenden noch schmecken werden.

 

Wo bekomme ich die Rohstoffe her?

Der Inder um die Ecke bietet viele Körner für wenige Euros feil. Auch der hiesige Super- oder Biomarkt wartet mit einem Senfangebot auf. Jedoch gibt es für Senfsamen und Senfmehl nur eine wahre Adresse: Die Apotheke!

Warum das so ist, kommt jetzt: Die Wirkstoffkonzentration wird  bei Apothekenprodukten genau geprüft und garantiert. Und uns interessiert das darin enthaltene Senföl, das sehr gerne flüchtig ist und sich bereits bei 38° in Wohlgefallen auflöst. Was nutzt uns ein Schnäppchen, dass auf dem Weg von Indien nach Germanien bereits aller Inhaltsstoffe verlustig gegangen ist?

Ein weiterer Punkt ist auch, dass das Senfmehl aus der Apotheke sehr fein gemahlen ist. Ohne Profiausrüstung kommst Du in Deiner eigenen Küche nicht weit. Ich habs probiert und das Ergebnis war in Essig aufgelöster Holzstaub mit vereinzelten Spänen.

Interessant war mein erster Besuch in dieser Sache bei der Apothekerin, denn Sie gab mir den Rat, nicht zu viel auf einmal für die Umschläge zu verwenden. Als Sie meinen fragenden Blick sah, stellte sie die Frage nach dem Verwendungszweck des Senfmehls. Nachdem ist sagte, dass ich das Produkt seiner Bestimmung nach essen möchte, hatte ich die gesamte Kundschaft im Verkaufsraum an den Lippen hängen.

 

Komplexität der Senfherstellung

Guten Senf herzustellen ist furchtbar einfach. Man muss nur wissen, wie es geht. Aber das ist kein Thema: Die Zutatenliste ist recht überschaubar. Neben Senfkörnern und/oder Senfmehl kommt noch Essig, Salz und vielleicht Zucker mit hinein. Natürlich gibt es ganz viele Varianten mit Früchten, Knoblauch etc. Wir wollen uns hier aber erst einmal um die Basics kümmern. Also nicht gleich einen Trüffel in die erste Charge hobeln. Wir sind noch in der Grundschule. Wenn Du in der Lage bist, guten Standardsenf herzustellen, folgt die Versetzung in eine höhere Schule. Zusätzlich wird ein Mörser benötigt, um beispielsweise eingelegte ganze Senfkörner etwas zu zerstoßen.

 

Essig

Die Industrie kippt gerne billigen Essig in die Mischung. Das erhöht die Gewinnmarge und in den Pommesbuden des Landes spielt das eh keine Geige auf der Bratwurst. Dabei ist gerade die Qualität des Essigs von elementarer Bedeutung für den Geschmack des Senfs. Das heißt jetzt nicht, dass nur der 20-jährige Aceto Balsamico verwendet werden darf. Die Idee ist nett, aber teuer. Daher fokussieren wir uns auf Essige, die qualitativ und preislich in Ordnung sind. Wenn Du Senf anrührst, verwende das gleiche Rezept für unterschiedliche Essigsorten. 3 Wochen später weist Du, was ich meine.

 

Individueller Senf

Die Sorte des Essigs sowie variierende Anteile der Senfsorten bieten Dir einen ganzen Kosmos unterschiedlicher Geschmacksnuancen. Dumm ist nur, dass Du 3-4 Wochen warten musst, bis Du probieren kannst. Daher lohnt sich das Niederschreiben der Rezepte während der Herstellung.

 

Senfproduktion

So – jetzt geht's los: Du hast Dir im kleinen Kochbuch ein Rezept herausgesucht, hast die Zutaten auf dem Tisch und kannst es kaum erwarten loszulegen. Dann nach Rezept vorgehen und Spaß haben. Aber Achtung: Du solltest 10 Minuten Deiner wertvollen Zeit mit dem manuellen Rühren verschwenden – sonst wird das nichts. Eine Rührpause zum Zwecke der Verabreichung eines stärkenden Getränks ist nicht nur zulässig sondern auch erwünscht.

 

Konsistenz und Reifung

Gerührter frischer Senf hat einen ganz gemeinen Charakterzug: Er gibt vor flüssig zu sein, bindet aber während des Reifeprozesses erstaunlich ab. Was bei der Herstellung als prima Konsistenz durchgeht, entpuppt sich nach 3 Wochen Reifung als Dichtungsmasse für zugige Fenster.

Ein weiterer fieser Aspekt ist, dass der Geschmack frischen Senfs schlicht und ergreifend fürchterlich sein kann. Der Geschmack wird erst durch die Reifung richtig rund und lecker. Die Aromaspitzen von Essig und Schärfe werden durch die Reifung abgemildert und die unterschiedlichen Einzelaromen verbinden sich zu einer feinen Komposition. Wem das jetzt sprachlich zu dick aufgetragen war, sollte sein Urteil nach 4 Wochen Reifung fällen.

Ein Testlauf mit schwarzem Senfmehl beispielsweise war desaströs: Der Senf war scharf brennend (klar, war ja auch das Senfmehl für Jungs) und zudem noch unerwartet bitter. Trotzdem in den Kühlschrank gepackt und nach 4 Wochen probiert. Und siehe da – die Bitterkeit war verschwunden und die Aromen miteinander verheiratet. Die Schärfe zog einem noch immer die Schuhe aus und ist mit keinem Industriesenf vergleichbar. Aber schmecken tut der...

Was lernen wir: Senf braucht Zeit.